Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Lexicon musicum Latinum medii aevi (LmL)

Menu

Von der Arbeit am Lexicon musicum Latinum

Die grundsätzliche Überlegung bei der Erstellung eines Wörterbuchs richtet sich zunächst einmal auf eine möglichst sinnvolle Auswahl des Textmaterials als Basis für die Artikel. Es müssen hier notgedrungen gewisse Eingrenzungen vorgenommen werden, um die Materialsammlung überhaupt in einer vertretbaren Zeit durchführen zu können.

Auswahl der Materialbasis für das LmL

Materialbasis für das LmL ist die unmittelbare Fachliteratur, also die musiktheoretische Literatur. In diesem Bereich wurde Vollständigkeit angestrebt, was die in modernen Editionen publizierten Texte betrifft. Sicherlich gibt es auch in der nicht fachgebundenen Literatur Hinweise auf Musik, doch sind solche Belege in mehrfacher Hinsicht problematisch: Es bleibt schwierig, die Kompetenz eines Autors zu prüfen. Zudem fehlen bei solchen Belegen meistens Erklärungen der verwendeten Termini, weshalb eine genaue Interpretation erschwert oder gar unmöglich wird. So wurde in der Mehrzahl der Fälle nur die grundlegende, aus den Fachtexten bekannte Terminologie behandelt. Auf Ausnahmen nahm das Lexicon musicum Latinum gegebenenfalls entsprechende Rücksicht.

Grundlegend für die Wörterbucharbeit am LmL: Sämtliche musiktheoretischen Texte wurden nicht nur in die Datenbank eingelesen, sondern auch herkömmlich kopiert und in Ordnern alphabetisch nach ihren internen Siglen abgelegt.

Neben den reinen Musikabhandlungen wurden auch Texte berücksichtigt, die größere Abschnitte über Musik enthalten, wie beispielsweise die Kommentare zu Martianus Capellas „De nuptiis Philologiae et Mercurii“ oder das Kapitel über den Orgelbau in der „Schedula diversarum artium“ des Theophilus Presbyter. Nicht aufgenommen sind hingegen die Darstellungen der Musik in den enzyklopädisch ausgerichteten Werken, die hauptsächlich aus älteren Quellen kompiliert wurden und kaum einen lexikalischen Ertrag erbrachten. Ebenfalls nicht aufgenommen sind die spätmittelalterlichen Mischtexte aus mehreren Sprachen.

Definition des zu erforschenden Zeitraums

Der Zeitraum für die Sammlung der Belege erstreckt sich vom Beginn der Karolingerzeit bis zum Ende des 15. Jahrhunderts:

Als untere Zeitgrenze wurde das 9. Jahrhundert gewählt, weil die Theorie dieser Zeit zum Ausgangspunkt der abendländischen Musikentwicklung wurde. Da aber die Musiktheorie nicht von Grund auf neu begann, sondern auf dem antiken lateinischen Erbe aufbaute, wurden Texte, die auf das Mittelalter gewirkt haben, als Hintergrund berücksichtigt. In das Material aufgenommen wurden deshalb diejenigen älteren Texte, die vollständig der Musik gewidmet sind oder größere Abschnitte zur Musiklehre enthalten: Censorinus, Calcidius, Augustinus, Macrobius, Favonius Eulogius, Martianus Capella, Fulgentius, Boethius, Cassiodor und Isidor aus dem Zeitraum zwischen dem ersten vorchristlichen bis zum siebten nachchristlichen Jahrhundert. Antike Termini, die im Mittelalter nicht mehr fortlebten, wurden im LmL nicht behandelt. Für diese gibt der Thesaurus linguae Latinae ausreichend Informationen.

Das Jahr 1500 als obere Zeitgrenze erscheint sinnvoll, weil in der Musiktheorie dieser Zeit ein deutlicher Traditionsbruch festzustellen ist. Mit den Schriften von Johannes Tinctoris und Franchinus Gafurius wird im späten 15. Jahrhundert ein abschließender Höhepunkt der mittelalterlich geprägten Theorie erreicht. Die Lehre von der Mensuralnotation ist voll ausgebildet und wird von nun an vereinfacht und aufgelöst. Mehr und mehr gewinnen die Volkssprachen das Übergewicht über die bis dahin uneingeschränkt herrschende lateinische Gelehrtensprache. In den späteren lateinischen Texten wird entweder die mittelalterliche Terminologie verlassen oder nur retrospektiv wiederholt.

Zu leistende Vorarbeiten

Bevor mit der Arbeit am Wörterbuch selbst begonnen werden konnte, mussten umfangreiche Vorarbeiten geleistet werden, für die teilweise nur unzureichende Grundlagen vorhanden waren. Großer Wert wurde auf eine Beantwortung der Fragen nach der Originalität der Texte, der Echtheit von Autorenzuschreibungen und der Datierung gelegt. Um die Materialsammlung auf eine sichere Grundlage zu stellen erwiesen sich die auf Mikrofilmen zugänglichen Handschriften oft als hilfreich. Ebenso wurde eine philologische Bewertung der Editionen, deren Kontrolle und gegebenenfalls die Emendation nach den Handschriften vorgenommen, sofern Verdachtsmomente für falsche Lesarten in den Texten vorlagen.

Daneben wurde der Handschriftenbestand gesichtet und in Bezug auf wichtige Ergänzungen des bisher veröffentlichten Materials ausgewertet. Ungedruckte oder unzureichend edierte Texte wurden in den Veröffentlichungen der Musikhistorischen Kommission vorgelegt. Weiteres unediertes Material wurde nicht herangezogen, um einerseits die Benutzbarkeit der Belege zu gewährleisten und andererseits das gesetzte Ziel nicht völlig aus den Augen zu verlieren. Eine vollständige Aufarbeitung des handschriftlich überlieferten Erbes, so wünschenswert sie für die Beurteilung von Verbreitung und Lebensdauer der Termini wäre, wird sicher noch die Anstrengungen einiger Gelehrtengenerationen beanspruchen.

Schließlich wurde die Sekundärliteratur zur Musiktheorie gesammelt und ausgewertet.

Zur Aufnahme und Auswertung des Materials mit Hilfe von EDV wurde ein maßgeschneidertes Programmpaket entwickelt, mit dem es möglich wurde, die gespeicherten Texte zu verwalten, zu bearbeiten und nach unterschiedlichen Kriterien zu durchsuchen.

Auswahl der Lemmata

Die Auswahl der Lemmata, die in das LmL aufgenommen wurden, war im Wesentlichen von zwei Kriterien bestimmt: Erfasst wurden alle Termini im eigentlichen Sinne, also alle Wörter, die im musikalischen Bereich eine eigene Bedeutung erhielten. Stärker als bei anderen Wörterbüchern sind dabei zusammengesetzte Begriffe, wie beispielsweise „musica ficta“ oder „cantare super librum“ herausgehoben. Darüber hinaus wurden auch Lemmata aufgenommen, die im Musikschrifttum eine hervorragende Rolle gespielt haben und sich so vom Gebrauch in der übrigen mittellateinischen Literatur abheben.  Dass die Grenze insgesamt eine fließende ist und insofern Anlass zur Kritik geben konnte, musste in Kauf genommen werden.

Nachweis von Zitierungen in der Musiktheorie

Das Material des LmL wurde durch Zitierung der Belege möglichst extensiv ausgebreitet, um der Forschung ein bequemes Hilfsmittel an die Hand zu geben. Bei Lemmata mit bis zu hundert Belegstellen sind alle angeführt, liegen jedoch mehr vor, wird eine Auswahl getroffen, wobei jeder Text mindestens einmal für jeden Punkt der Gliederung zitiert wird, um so zumindest eine annähernde Vorstellung über Verbreitung und Lebensdauer des Terminus zu vermitteln. Zitate aus älteren Theoretiker-Texten sind meistens nur mit der Stellenangabe und dem Vermerk „inde“ gekennzeichnet. Auf diese Weise wurden zugleich Zitierungen in der Musiktheorie dokumentiert.

Am Ende der Arbeit steht der fertige Wörterbuchartikel, der nun eine Reihe von Informationen, vor allem zur Wortbedeutung und ihrem chronologischen Wandel enthält.